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Die Bad Vilbeler Kinderärztin Ruth Kohl-Munthiu während ihres Hilfseinsatzes in den Slums von Kalkutta.

Eine Hessin ehrenamtlich im Slum von Kalkutta

Arbeitswege durch knöchelhohen Dreck, eine spartanische Ausrüstung, Begegnungen mit den Ärmsten der Armen: Die Bad Vilbeler Kinderärztin Ruth Kohl-Munthiu ist gerade von einem Hilfseinsatz in den Slums von Kalkutta zurückgekehrt.

Ein junges Mädchen, das ihr Geschwisterchen kilometerweit getragen hat, um es der Kinderärztin zu zeigen; drei ehemals an Tuberkulose erkrankte Frauen, seinerzeit völlig unterernährt und ausgezehrt, die ohne Hilfe gestorben wären: Es sind diese Begegnungen, die Ruth Kohl-Munthiu in Erinnerung bleiben – und die ihr Kraft geben. „Zu spüren, dass man als Ärztin so gebraucht wird, ist sehr berührend“, sagt die 52-Jährige. Derlei intensive Begegnungen macht die Bad Vilbeler Kinderärztin während ihres Engagements bei den „German Doctors“, einer Hilfsorganisation, die Ärzte weltweit ehrenamtlich dort einsetzt, wo die medizinische Versorgung besonders krankt.

Ihr erster Hilfseinsatz hat Kohl-Munthiu 2002 nach Bangladesch geführt, 2004 und 2005 war sie auf den Philippinen. Nach einigen Jahren Pause – die Bad Vilbelerin und ihr Mann, der als Kinderarzt ebenfalls regelmäßig ehrenamtliche Hilfseinsätze leistet, haben eine Tochter bekommen, später hat Kohl-Munthiu eine Praxis in Bad Vilbel übernommen – war sie nun erstmals wieder ehrenamtlich im Ausland: Im indischen Kalkutta hat sie das dort bestehende Tuberkulose-Projekt kennengelernt und evaluiert. 

Spenden erreichen die von Ruth Kohl-Munthiu unterstützten Projekte über folgendes Spendenkonto:

Stichwort „Kalkutta“, IBAN DE26 5502 0500 4000 8000 20, BIC BFSWDE33MNZ (Bank für Sozialwirtschaft). 

Diese Infektionskrankheit ist eines der größten Probleme vor Ort, weiß sie – „eine große Seuche“. Darüber hinaus hat die Ärztin in sogenannten Slum-Ambulanzen Basismedizin geleistet. „Die Patienten stehen oft seit Stunden an“, berichtet Kohl-Munthiu. Das am häufigsten zu beobachtende Krankheitsbild: Fehl- und Unterernährung, was einen perfekten Nährboden für schwere Infektionskrankheiten wie die Tuberkulose biete. Die Menschen lebten regelrecht neben Müllbergen, das Wasser in den Pfützen sei verdreckt, nicht selten lebten acht Menschen in einer kleinen Hütte.

Zum Wiedereinstieg in das temporäre Ehrenamt war der ausnahmsweise nur zweiwöchige Einsatz – in der Regel dauern Projekteinsätze mindestens sechs Wochen – genau passend. Denn nicht zuletzt muss Kohl-Munthiu für ihre Bad Vilbeler Praxis eine Vertretung organisieren. Dieses Mal habe sie einen netten Kollegen gefunden, der eigentlich schon in Rente sei – sie jedoch gern vertreten habe, da er sich selber ehrenamtlich als Kinderarzt in Kenia engagiert. „Ich habe das meinen Patienten gegenüber auch offen kommuniziert“, erzählt die Ärztin. Auch wenn das Vertrauensverhältnis zum „eigenen“ Kinderarzt oft wichtig sei und Patienten manchmal eher ungern zu einem unbekannten Kollegen gingen, sei es in diesem Fall anders: „Viele finden mein Engagement gut und fragen, wie es vor Ort war.“

 

 

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Die Lebensbedingungen sind sehr schlecht.
 
 

Denn nicht zuletzt taucht sie mit der Arbeit in den indischen Armenvierteln in eine völlig andere Welt ein. „Wir haben hier doch alles“, gibt die Ärztin zu bedenken. „Bin ich nicht da, gibt es zehn andere Ärzte in der Region, die die Eltern aufsuchen können.“ In den Regionen, in denen die „German Doctors“ aktiv sind, ist das anders. In Indien sterben 1,4 Millionen Kinder jährlich noch vor dem fünften Lebensjahr, sagt Kohl-Munthiu. „Als mir die drei inzwischen von ihrer Tuberkulose geheilten Frauen im Gespräch sagten, dass sie ohne unsere Hilfe nicht mehr am Leben wären, da musste ich mit den Tränen kämpfen“, gibt sie zu. Die „German Doctors“ unterstützen personell und finanziell ein Krankenhaus für tuberkulosekranke Frauen – das sogenannte „St. Thomas Home“ – und eine Station für tuberkulosekranke Kinder („Pushpa Home“) aus den ärmsten Bevölkerungsschichten. Auch die drei jungen Frauen, die Kohl-Munthiu traf, wurden hier bis zu ihrer Ausheilung über sechs bis zwölf Monate behandelt.

Dabei versteht sich die Arbeit der Hilfsorganisation explizit als Ergänzung der lokalen Strukturen. Denn: Auch vonseiten der indischen Regierung gebe es mittlerweile mehr medizinische Versorgungsangebote, erklärt die Bad Vilbelerin. Doch die Menschen in den Slums, den Armutsvierteln der Großstädte, wüssten davon oft nichts und seien meist Analphabeten, die ohne Unterstützung keinen Zugang zu staatlichen Hilfsangeboten hätten. Kohl-Munthiu und ihre internationalen Kollegen arbeiten daher stets mit lokalen Kräften zusammen. „Wir wollen nichts wegnehmen, sondern da unterstützen, wo Menschen aufgrund ihrer Armut kaum eine Chance haben.“

 

 

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Ruth Kohl-Munthiu im „Pushpa Home“, einer Krankenstation für an Tuberkulose erkrankte Kinder.  

 

Wichtig ist der Bad Vilbelerin auch vor diesem Hintergrund, dass der Einsatz – auch wenn dies auf den ersten Blick so wirken mag – keinesfalls einseitig ist. „Es ist ganz eindeutig ein Geben und Nehmen.“ Für sie habe dies das eigene Gefühl verdeutlicht, als sie nach Kalkutta reiste: In einer stressigen Zeit – Praxis, pflegebedürftige Eltern, Familie – machte sie sich vergleichsweise erschöpft auf den Weg, um zu helfen. „Als ich vor Ort war, war diese Erschöpfung wie weggeblasen“, erzählt sie staunend. Das Wissen, etwas Sinnvolles zu tun und sich mit den eigenen Stärken auf so ein Ziel fokussieren zu können, sei bewegend und spende Energie. Auch der eigene Praxisalltag profitiere davon. „Ich komme jedes Mal mit Freude im Herzen und neuer Kraft zurück.“

Von Jana Kötter - Frankfurter Rundschau